In eigener Sache zum Tag der Arbeit

Wenn Mutti früh zur Arbeit geht....

Dieses Zitat aus einem Kinderlied ist wohl zum Synonym für die Berufstätigkeit von Frauen in der DDR geworden.

In der Praxis lief das so.
Die Regelarbeitszeit in der DDR betrug 43 3/4 Wochen-Stunden, bei 15 Tagen Urlaub und 7 Feiertagen.
Meine Mutter ging morgens halb sieben aus dem Haus und kam abends sechs Uhr zurück. 18.00 Uhr schlossen übrigens auch alle Geschäfte.

Ich war meine gesamte Kindheit und Jugend immer allein.
In der Grundschule gab es den Hort und ich war immer die letzte, die nach Hause gehen durfte. Ab der 5. Klasse bekam ich den Wohnungsschlüssel um den Hals und konnte sehen, wie ich die Nachmittage verbrachte.

In der Mitte bin ich.

Meine Mutter hat nicht mit mir gesungen oder gebastelt, nicht mit mir gekocht, keine Hausaufgaben mit mir gemacht, nicht in der Schule geholfen oder uns zum Wandertag begleitet, meinen Liebeskummer getröstet. Sie war einfach nie da, außer am Wochenende.
Das war keine böse Absicht. Das war das System. Und es war völlig normal und wird bis heute von vielen Menschen aus der DDR noch vehement verteidigt und nicht nur das,
es scheint heute ein wieder gewolltes Modell zu sein. Unter Wahlfreiheit verstehe ich was anderes. Es muss Alternativen für jede Form von Familienleben geben.


"Herdprämie" und Mütterrente werden diffamiert und Ziel scheint zu sein, Frauen möglichst schnell wieder einer Vollzeittätigkeit zuzuführen. Und wieder ist es ganz sicher nicht die Liebe zu den Frauen, sondern System. Ich habe auch absolutes Verständnis, wenn Mütter in ihrem Beruf so aufgehen, dass sie ganz freiwillig und mit Freude voll arbeiten gehen. Mir geht es tatsächlich um die Wahlfreiheit für beide Seiten, keine Einbahnstraße.

Jedenfalls stand von Anfang an fest, so soll es bei meinen Kindern auf gar keinen Fall sein. Für mich ist Kindheit das wertvollste Gut. So eine kurze und doch bedeutende Zeit im Leben, die die Zukunft prägt - das braucht Bullerbü. Garten, Hund, Zeit für gemeinsame Aktivitäten und Gespräche, füreinander das ein, gemeinsam Probleme lösen, glückliche Stunden gestalten, die Kinder begleiten, ganz nah - so sieht für mich persönlich das Leben mit Kindern aus. Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Wie gesagt - für mich persönlich.


Ich wusste ganz genau, dass ich alles für diese Vorstellung tun würde, ohne Rücksicht auf fehlenden Verdienst und Rentenpunkte. Vielleicht wollte ich auf diese Art auch meine Kindheit ein bisschen nachholen.
Glücklicherweise sah das der Mann ähnlich, wahrscheinlich hätte ich ihn mir sonst auch nicht ausgesucht.
Aus Mangel an geeigneten und flexiblen Jobs machte ich mich selbstständig, um meine Arbeitszeiten frei gestalten zu können.

Meine Kinder finde ich ganz wunderbar. Wir vertrauen einander, wir kennen uns gut, verstehen uns blind. Die Pubertät vom Großen verlief so problemlos, dass ich sie gar nicht bemerkt habe, außer an der Körpergröße. Die Kleine hat unheimlich viel soziale Kompetenz und tausend künstlerische Ideen.

Die letzten Jahre waren die schönste Zeit und ich bin glücklich und unendlich dankbar, dass ich so leben durfte.

In letzter Zeit wurde es immer schwieriger, den Lebensstandard zu halten, das Finanzamt ist unerbittlich, man kann froh sein, wenn man seine Krankenversicherung noch erarbeiten kann. Alle halten die Hände auf. Man glaubt gar nicht, wie viele sinnlose Organisationen an einer Firma mitverdienen möchten. Die Unsicherheit geht an die Nerven. Wir sind diese Mittelschicht, die jeden Scheiß der Regierung bezahlt.

Die Kinder werden älter. Das große Kind macht gerade Abitur, wird seine Flügel ausstrecken und im Herbst ins Ausland gehen. Auch das kleine Kind ist aus dem gröbsten raus.
Ich selbst werde ebenfalls ganz unerbittlich älter - höchste Zeit, eine neue Zeitrechnung einzuläuten, bevor man völlig weg ist vom Markt.

Den Zeitpunkt kann man sich ja nicht aussuchen. Ein gutes Angebot muss man annehmen, sobald es kommt. Und so gehe ich seit 01.04. in einem seriösen Unternehmen einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit nach.

Manchmal komme ich erst nach Hause, wenn das kleine Kind schon im Bett liegt, den Großen sehe ich oft nur im vorübergehen, der Kühlschrank ist auch mal leer und der Staub potenziert sich. Der Hund langweilt sich im Körbchen, der Garten bleibt sich selbst überlassen. Ich lerne vier neue Computerprogramme, arbeite in Schichten, an verschiedenen Orten. Mein Kopf glüht, mein Rücken schmerzt, ich bin dauerfertig. Es mag ja Menschen geben, die das alles ganz spielend unter einen Hut bekommen - ich gehöre definitiv nicht dazu.
Das große Kind sagt "Ich denke manchmal, du interessierst dich gar nicht mehr für mich." Das sitzt! Ich antworte "Stell dir vor, deine gesamte Kindheit wäre so verlaufen." "Undenkbar. Fürchterlich." kommt es zurück.

Ich nehme wahr, wie gut wir es in den letzten Jahren hatten und dass ich alles richtig gemacht habe.
Und das hilft mir in dieser neuen Situation.
Das erste Gehalt wird gefeiert, so ein wenig Unabhängigkeit - wie vor den Kindern - kann ja auch nicht schaden.

Nur der Blog - für den war wirklich keine Zeit.
Und es wird auch in den nächsten Wochen, vielleicht Monaten nicht mehr so viel Zeit bleiben.

Beenden kann ich das hier allerdings auch noch nicht. Dann wäre es ja ein unvollständiges Tagebuch, ein zu harter Bruch.
Es wird sich irgendwie finden.
Derweil lade ich eben nun auch mal schnell paar Bildchen auf Instagram.

Jetzt kommen ja ein paar Feiertage und ich werde versuchen zu schauen, was ich bei euch in letzter Zeit so verpasst habe....











Kommentare

  1. Anonym1.5.18

    Ach Gretel, du hälst mir gerade irgendwie den Spiegel vor...Kenne ich...könnte ich immer nur ausrufen...nicht nur, was die Kindheit betrifft. Ich bin immer noch so eine Selbständige, aber meine Lust darauf tendiert mittlerweile gegen Null...doch damit bin ich schon lange in guter Gesellschaft. Dir wünsche ich für die nächsten Wochen viel Kraft...Es braucht einfach Zeit, bis man seinen Rhythmus gefunden hat. Liebe Grüße.

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  2. Ah, verstehe! Ein wirklich zu Herzen gehende Geschichte, privat wie politisch!( und passt gut zu meiner derzeitigen Beschäftigung mit der Auswirkung der so unterschiedlichen deutschen Sozialisationen )
    Meine Mutter hatte gar keine Alternative, da keinen Schulabschluss, bedingt durch drei Jahre Herumstoßerei auf der Flucht, bis sie auf einem Dorf landete, wo es keine Schule mehr für fast Erwachsene gab. War allerdings dann auch finanziell hart, mit vier Kindern, Arbeitslosigkeit im Winter. Da half nur, dass mein Vater sich in einem Beruf verdingte, der nicht zu ihm passte...
    Vielleicht haben sie mich deshalb so gedrängt, Lehrerin zu werden. In der Hinsicht damals ein Luxusberuf. Ich habe tatsächlich die ersten drei Jahre meines Kindes dank Beurlaubung und einer kleinen Erbschaft mit dem Kind zu Hause verbracht.
    Das war gut. Ich habe auch versucht, in diesem Beruf Karriere zu machen, später.
    Das war weniger gut, aber aus anderen Gründen. Dieses Kind ist übrigens Vollzeit-Mama. War wohl kein überzeugendes Beispiel...
    Alles Gute für die Umgestaltung deines Lebens. Ich vermisse deine Posts schon...
    Astrid

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  3. Anonym1.5.18

    Wie schön, dass du das aus deiner Sicht als Kind schilderst!
    Familienfreundliche Politik ist für mich auch was anderes,als Kinder immer früher in Kitas zu schicken.Eine Mutter,die sich mehrere Jahre nur um ihre Kinder kümmern möchte,wird heutzutage ganz schön angegangen.
    Das ist echt traurig.Diese Arbeit müsste viel mehr akzeptiert werden(und auch gefördert).Früher war es genau andersherum.Jede Frau und ihre Familie sollte ganz allein für sich entscheiden,wie sie das handhaben( können).
    Viele Grüße,
    Claudia

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  4. ...da sind wir so nah beieinander aufgewachsen, liebe Gretel,
    und so ganz unterschiedlich...meine Mutter hat immer nur halbtags gearbeitet und die nicht berufstätige Oma um die Ecke gewohnt...ich war nicht mal im Kindergarten...die ersten Jahre war ich mit den Kindern zu Hause, dann habe ich Teilzeit gearbeitet, da immer im Schichtdienst war das gut mit den Arbeitszeiten vom Mann zu vereinbaren und wir hatten die Großeltern im Haus...und heute bin ich sehr dankbar, dass ich nur Teilzeit arbeiten muß, ohne Angst vor der Zukunft haben zu müssen...
    ich wünsche dir, dass du gut in deinen neue Arbeit rein kommst und einen Rhythmus findest, der Arbeit und Familie und Zeit für dich gut vereinbaren lässt,

    liebe Grüße Birgitt

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  5. Alles Gute für dich...wenn du dich erstmal eingearbeitet hast, wird vieles schon leichter werden. Nur die fehlende Zeit bleibt leider.
    LG Sigrun

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  6. Liebe Gretel,
    meine Kindheit war Bullerbü :-)
    Meine Mutter war ab dem Moment, als ich zur Welt kam, von Beruf "Mutter, Hausfrau, Köchin, Gärtnerin, ..."
    Allerdings war es damals auch noch nicht so "Trend" sich so sehr mit den Kindern zu befassen wie heute.
    Mit mir wurde auch nicht gespielt, gelernt, vorgelesen oder ähnliches. Ich war (und bin es immer noch) ein Kind vom Dorf. Wir waren fast ausschließlich mit anderen Kindern im Dorf und auf den Bauernhöfen unterwegs. Dort gab es immer einiges zu tun, zu sehen, zu lernen und zu spielen.
    Aber meine Mutter war immer da und das war für mich schon immer sehr wichtig und wohltuend.
    Heute bin ich über meine Berufwahl sehr froh, denn ich bin wirklich in der sehr glücklichen Situation, in den Ferien zu Hause zu sein, nachmittags Zeit für meine Kinder zu haben, ...
    Ich wünsche dir alles Liebe!
    Melanie

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  7. Liebe Gretel,
    ich hatte das Glück, die ersten Jahre meines Lebens bei den Großeltern aufzuwachsen. Danach ging's mir wir Dir: Schlüssel um den Hals und viel Spaß in der Freiheit. Als Ostmutter habe ich es dann nicht anders gemacht. Wollte es aber auch nicht anders, konnte es mir gar nicht anders vorstellen. Und ich glaube, ich würde es heute auch wieder so machen. Aber das Recht, genau das wählen zu können, ist so wichtig.
    Für Deinen neuen Job wünsche ich Dir viel Erfolg.
    Lieben Gruß und ein schönes Wochenende
    Katala

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  8. Ich verstehe dich vollkommen! Meine Mutter war/ ist "Hausfrau" und sie war immer fuer uns da- so dachte ich, dass das bei mir dasselbe sein wird, wenn ich Mutter werde... kam anders. Ich bin Mutter von drei Kinder und arbeite 100% "nebenbei"- keine super Sache, auch wenn es einige Vorteile hat. Ich habe das Glueck, dass ich immerhin schon um 16:30 zu Hause bin und so doch noch Zeit finde fuer die Kinder und mit ihnen singen, basteln, kochen, lesen etc kann. Trotzdem- optimal ist es nicht und ich habe mir so oft gewuenscht, ich koennte ein klein bisschen weniger arbeiten und mehr Zeit mit den Kinder verbringen. Ich wuensche dir viel Erfolg und dass du da und dort doch etwas Zeit fuer deine Kinder und dich selbst findest.
    Liebe Gruesse aus Israel, Rahel

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  9. Liebe Gretel,
    ich sehe das genau wie du, dieser aufoktrinierte "Zwang", nach einem Jahr Elternzeit wieder arbeiten zu gehen und alles andere zu verdammen ist nicht gut. weder für die Mütter und noch viel weniger für die Kinder.
    klar, wenn jemand total in seinem Job aufgeht, keine Frage.
    aber ich glaube, die meisten tun das gar nicht, sondern machen das vielmehr, weil 'man' es so macht oder aber, weil sie glauben, nicht mit weniger Geld auskommen zu können. natürlich gibt es auch Leute, die auf das Geld angewiesen sind, keine Frage.
    aber eben genau DA sollte es viel mehr Wahlfreiheit geben und die alle Möglichkeiten offen gehalten werden, ohne wenn und aber!
    ich bin froh, dass ich nur halbtags arbeite und das auch erst seit die Kleine im 2. Kindergartenjahr war.

    ich hoffe, du findest gut und schnell in deinen neuen Job hinein (und bezwingst die Computerprogramme) und ihr arrangiert euch als Familie irgendwie.

    danke auch für den Hinweis auf deinen Instagramm-Account, da komme ich gleich mal vorbei!

    LG
    sjoe

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  10. Ich teile deine Einstellung und hab selbst zu Schulbeginn meine Stunden deutlich reduziert, da bin ich eine der wenigen Mamas, die mittags daheim sind, 80 Prozent der Erstklässler besuchen die Betreuung, es wird immer normaler, dass Kinder ganztags in der Schule sind. Ich kenne es aus meiner Kindheit noch anders, meine Mama war zwar auch berufstätig, aber die Oma wartete zuhause mit dem Mittagessen und meine Mama kam dann auch recht zeitig nachhause, es gab immer ein offenes Ohr und das war mir für meine "Kleine" im ersten Jahr mit all den neuen Erfahrungen wichtig. Aber, die Entscheidung war nicht leicht, weil eben nicht üblich und ja, finanziell auch nicht einfach (wir kennen das mit dem Finanzamt nur zu gut). Ich bin mir sicher, dass du mit deiner Entscheidung eine gut getroffen hast und deine Kinder stark gemacht hast für den neuen Abschnitt. Ich wünsche euch das Beste für dieses neue Abenteuer und ein paar Extras im Jahr ganz für dich allein.

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